…ein Bild und seine Geschichte.

Die „Fliegenden Bauten“ verlassen die Glacischaussee. ‚Na und?‘, ‚..was sind die Fliegenden Bauten?‘ usw. Sie sind nichts weiter als ein von mir romantisiertes Symbol für die Hoffnung auf intelligentes Leben auf St. Pauli gewesen. Vielleicht der einzige Ort in diesem Kriegsgebiet, an dem als singuläres Ereignis ein geheimnisvoller Unbekannter eine Flasche Vodka geleert hat, ohne zum Neandertaler zu werden. Ich fand sie beim Wegfahren vor – genau so, wie auf dem Bild zu sehen. Freundlich und friedlich stehend auf dem Fahrradweg abgestellt.

Um den Kontrast zu verstehen, machen wir doch einfach einen Streifzug durch hiesiges Territorial-Verhalten:

Einmarsch ins Viertel über die umkämpfte Hormuz-Meerenge (= Simon-von-Utrecht-Str. bis zur ersten Kreuzung). Dieser strategisch wichtige Punkt ist gleich beidseitig gesichert – links das Ibis-Budget, rechts das Holiday-Inn. Die Passage gelingt nichtsdestotrotz Mo.-Do. in der Regel problemlos. Die Fremdenlegionäre (vorzugsweise aus dem Ruhrpott und den neuen Bundesländern) rücken erst Do./Fr. zur Sicherung an. Ab Donnerstag mittag ist also mit Beschuss zu rechnen; dieser ist, genauso wie die verwendete Munition, unberechenbar. Zum Einen kennt man in der Regel nicht die Getränke-Sonderangebote am Heimatort der Legionäre, zum Anderen benutzen diese Söldner die Truppentransporter (= Reisebusse) als Sichtschutz. Die beste Strategie besteht in schnellem Gang mit erhöhter Aufmerksamkeit, bei akutem Beschuss empfiehlt sich der Rückzug ins Foyer des Holiday-Inn. Die Rezeptions-Miezen dulden im Inneren der Festung kein Artilleriefeuer. Erhöhte Selbstreflexion ist dabei an Bundesliga-Spieltagen gefragt: trägt man dummerweise irgendeinen Hinweis auf eine favorisierte Mannschaft auf Kleidung oder Tasche, sollte man sicherheitshalber das Foyer trotz Beschuss meiden. Denn falls durch einen unglücklichen Zufall das Hotel von Fans einer rivalisierenden Mannschaft ausgebucht ist, war’s das…
Die Passage der beiden Sicherungs-Festungen ist aber insgesamt nicht lebensgefährlich, die Munition besteht meist aus leeren Weißblechdosen und halben Dönern, vor den Festungen wird zudem nur trainiert.
Weiter geht’s am East-Hotel vorbei. Hier parliert Volk beim Rauchen vor der Tür, das eine gewisse Schnittmenge zum Fliegende-Bauten-Publikum aufweist – trotzdem läuft man jederzeit Gefahr, beim Passieren von einer „Corona“- oder „Desperados“-Flasche (flavoured) am Kopf getroffen zu werden. Bei den Schützen handelt es sich um recht locker organisierte Separatisten ohne politische oder religiöse Machtstrukturen, weshalb 2 leicht umsetzbare Strategien helfen:
1. Ganz nah am Grüppchen vorbeilaufen. Werfen impliziert eine gewisse Weite, wenn man keine 1,90m+ groß ist, hat man also gute Chancen, unterhalb der berechneten Flugbahn der leeren Gebinde hindurchzulaufen. Zweitvorteil: wird man doch getroffen, ist die kinetische Energie recht gering. Drittvorteil: wird man doch getroffen, kann man zeitnahe, ortsunmittelbare Erziehungsmaßnahmen einleiten (z.B. geballte Faust ausstrecken, bis sie auf Widerstand trifft).
2. Nur dann vorbeilaufen, wenn höherpreisige Automobile vor dem Eingang parken. Diese Spezies bewirft traditionell nicht eigenes Hab und Gut (das liegt vor allem daran, daß ein Vollrausch mit Corona und/oder Desperados nicht möglich ist, da das Fassungsvermögen des menschlichen Körpers nicht ausreicht – zur „Astra“-Ausnahme später..)

Um den Persischen Golf (= Reeperbahn/Spielbudenplatz) zu erreichen, ist nun ein äußerst gefährliches Manöver fällig: das Überqueren der Straße. Sie wird an Werktagen von unberechenbaren Car2Go-Kugelbombern und am Wochenende von extrem tieffliegenden Kampfjets der Alliierten (= Pinneberg) bewacht. Die von der UNO eingerichteten Feuerpausen-Signalgeber sind kein Garant, denn die Piloten beider Kategorien sind schlecht ausgebildet und wissen diese oft nicht zu deuten – und selbst wenn, so scheitern sie an der Steuerung ihrer Kampfgeräte. Einmal auf der gegenüberliegenden Seite angelangt, empfiehlt sich kurzes Durchatmen unter dem Balkon kurz vor den Kreuzung, denn dort sieht man sich zum ersten Mal mit der „Astra-Kampfsau“ konfrontiert – an St.Pauli-Spieltagen ein echter Ernstfall. Hat man (ratsam) Gummistiefel dabei, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, auf diese umzusteigen. Warum?


Einschub: die „Astra-Kampfsau“


Wie schon erwähnt, ist der Homo Sapiens fassungstechnisch so gebaut, daß ein Vollrausch mit Bier nicht möglich ist. Diese Elitetruppe umgeht die Beschränkung, ihre Mitglieder sind kybernetisch aufgebaut. Nieren und Teile des Großhirns sind künstlicher Provenienz. Die effiziente Urin-Verarbeitungs-Pipeline sorgt dafür, daß diese Edelkrieger mühelos mit Bier zu Vollrausch gelangen können, während sie ihre Umgebung durch stetiges Urinieren und orale (manchmal zusätzlich rektale) Ausscheidungen für den Gegner unpassierbar machen. Fremde im weiteren Umkreis werden aufgrund des meist inaktiven Empathiezentrums mit leeren (manchmal auch vollen) Glas-Treibstoffbehältern unter schweren Beschuss genommen. Durch ihre dem Affen angelehnte Fortbewegungsweise – sie halten sich ungern am Boden auf, laufen eher über Fahrzeuge – gehen sie feige, aber geschickt Gegenangriffen aus dem Weg. Auf Zeit spielen nutzt auch nichts, die Munitionsreserven dieser Elitetruppe sind genauso wie ihr Bierdurchsatz schier unerschöpflich.


Da müssen wir nun also durch – an Spieltagen eine der gefährlichsten Passagen. Gummistiefel (auf dicke Sohle achten!) und ein stabiler Schirm helfen, die Verletzungen nicht lebensgefährlich zu halten und dann heißt es ‚laufen!‘. Abwehr oder gar Gegenangriff ist zwecklos (siehe oben), zudem kennt die Astra-Kampfsau keinen Schmerz. Ein motorisiertes Fortbewegungsmittel zum Passieren zu benutzen, ist keine gute Idee – das Verletzungsrisiko ist durch splitternde Scheiben nochmals höher, es besteht die Gefahr, durch einen Platten mitten im Kampfgebiet steckenzubleiben und das Gefährt ist durch den Beschuss und das Bespringen (eine durchschnittliche Kampfsau wiegt ca 120kg) hinterher unbrauchbar.
Ist das „Millerntor“ (Heimat der Kampfsäue) passiert, empfiehlt sich eine Rast bei Benito oder Liebling’s. Unbedingt einen Außensitz bevorzugen, so wird man beim Verlassen des Lokals nicht von zwischenzeitlich erfolgten, unerwarteten Truppenbewegungen überrascht. Der Aufenthalt ist gefahrenarm, allenfalls stören vereinzelte Querschläger (Munition: leere Ficken!- oder Pfläumli-Fläschchen) der Junggesellinnen-Abschieds-Amazonen.

Es ist Zeit, ins Hauptkampfgebiet Reeperbahn einzubiegen. Exemplarisch steuern wir (der Publikums-Schnittmenge zu den Fliegenden Bauten wegen) das Schmidt an. Die vierspurige Vergnügungstraße, die es zu queren gilt, ist ein gnadenloses Schlachtfeld, die Verhaltensregeln können nur allgemein ausfallen:
1. Auf Tretminen achten! 3 Arten sind zu unterscheiden – die rektal und oral von den Astra-Kampfsäuen gesetzten, die von tierischen Drohnen wahllos platzierten und die menschlichen. Letztere sind besonders bestialisch und eigentlich laut Genfer Konventionen verboten; bei versehentlichem Betreten gehen sie hoch, oder auch nicht, können ätzende Kampfstoffe freisetzen oder mit schwerer Artillerie feuern. Es existiert ein Subtypus mit Fernzündung – auf freischwebend vor dem Gesicht auftauchende Papp-Becher achten! Zeitgleich erfolgt meist eine Aufforderung zur Spende aus dem Off. Höflich bleiben, sonst detonieren sie und verursachen hohen Sach- und Personenschaden!
2. Aggressoren jedweder Art meiden. Sollte selbstverständlich sein. Insbesondere Gruppen mit gleichartiger Kleidung und/oder synchronem Gegröle, aber auch Einzelpersonen mit Kapuze und verführerische Sirenen bergen ein hohes Risiko.
3. Auf gar keinen Fall zur Stärkung rauchen! Das zieht mannigfaltige Splittertruppen an, die aufgrund ihrer labilen finanziellen Lage über keine eigenen Zigaretten verfügen und für Kriegsbeute nicht lange fackeln. Das selbe gilt für die Benutzung von Geldautomaten und den offenen Umgang mit Geldbeutel: lieber nicht.
4. Für alle Fälle eines der vielen herumliegenden Glas-Wurfgeschoße mitnehmen und immer schlag- bzw. wurfbereit halten – das reicht zumeist für einen überraschenden Erstschlag und anschließende Flucht.

Auf dem vierspurigen Korridor zwischen uns und dem Schmidt patroullieren Tag und Nacht schwerbewaffnete Kampfbomber (Hersteller: AMG), flankiert von leichten Aufklärern (Hersteller: VW). Die Querung ist aber nicht unmöglich, beide Modelle kündigen ihr Nahen durch grollende Turbinengeräusche an. Die UNO-Feuerpausen-Signalanlage wird von den Piloten leidlich eingehalten – überlebenswichtig ist aber das Verlassen des Korridors VOR Eintritt der Rotphase, denn hier werden Blitzstart-Übungen durchgeführt. Sollte es wider Erwarten doch zu Feindberührung kommen, rate ich zur Flucht (falls die Verletzungen es zulassen); ist das nicht möglich, ruhig und defensiv verhalten. Hat der Aufprall am Kampfjet Spuren (und seien sie noch so klein) hinterlassen, ziehen die Piloten (Herkunft: Ost- und Südost-Europa) befreundete Söldner zu Hilfe und versuchen, das Opfer des Zwischenfalls zu terminieren. Nicht gut!
Auf der anderen Seite angelangt, stehen wir auf dem größten Freifeld des Territoriums. Der sogenannte Spielbudenplatz ist vom Sitz der Bundesmilizen (Davidwache) aus gut einsehbar, so daß nur bei drangvollen Veranstaltungen Kampfhandlungen zu verzeichnen sind. Mangels Feldlatrinen und Müllentsorgungseinrichtungen im gesamten Bezirks dient der Spielbudenplatz außerhalb von Veranstaltungen allen Truppen zu eben diesen Zwecken. Gummistiefel bieten auch hier wertvollen Schutz. Nun zügig überqueren und unser Ziel ist erreicht.

„Schmidt“: Das Publikum dieses Etablissements besteht aus nichtmilitärischen Amtsträgern und Pazifisten und scheint sich wohlerzogen im Griff zu haben (vorwiegend), jedoch hat das Schmidt eine ungesicherte Frontlinie. Hält man sich nun vor dem Schmidt stehend auf (z.B. um einen Blick in die Karte zu werfen), so wittern die feindlichen Truppen (Standort: gegenüber auf dem Spielbudenplatz) ein geheimes Falt-Pamphlet und versuchen den vermeintlichen Feldpostboten mittels gezielter Flaschenwürfe zu erlegen. Die Spielbudenplatz-Paramilitaros verfügen traditionell über ein karges Militär-Budget, was ein breitgefächertes, recht wahlloses Munitionsrepertoire zeitigt. Das kann für den Feldpostboten von Vorteil sein, aber auch Schmidt-man-down bedeuten – abhängig von Wochentag, Uhrzeit und vorausgegangenen Veranstaltungen auf dem Schlachtfeld. Konkret fordert das Aufhalten im Bereich des Schmidt also eine detaillierte Kenntnis der gegnerischen Truppen und des Tagesgeschehens (inklusive der aktuellen Getränke-Sonderangebote bei Penny auf der Reeperbahn). Unproblematisch sind Werktage mit Dosenbier im Sonderangebot. Tagsüber wird diese Munitionsgattung vor dem Abfeuern meistens vollständig geleert, was eine geringe kinetische Energie zur Folge hat… die leichte Verformbarkeit von Aluminiumblech trägt ihr übriges zum geringen Verletzungsrisiko bei. Diese Salven dienen jedoch gar nicht der Terminierug des Feldpostboten, sie markieren ihn nur (mit Bier), damit er von den später anrückenden Scharfschützen ohne Zivilverluste (= alkoholisierte Passanten = Freunde) erlegt werden kann. Sollte man also vorhaben, abends nochmal vorbeizulaufen, ist Umziehen ratsam.

Personen mit Plakaten und Transparenten im Umkreis des Schmidt deuten auf eine bevorstehende Demo hin. Dieses für das Territorium so typische Schauspiel findet am 1. Mai und 302 weiteren Tagen im Jahr statt – die Beobachtung, wenn’s denn sein muß, sollte von einem gut geschützten Ort aus erfolgen, die Kollateralschäden sind gravierend. Weshalb es dazu kommt, ist ein bisher ungelöstes Rätsel, der Ursprung ist eigentlich ein Akt der Freundschaft zwischen Volk und Führung. Das Volk versammelt sich mit Respektsbekundungen vor dem Sitz der Milizen und lädt die Staatsdiener durch Frei-Haus-Lieferung auf ein Bier ein. Die Milizen nehmen die Einladung meist sehr schnell und freudig an – sie stürmen nach draußen und bekräftigen ihrerseits dem Volk mit Freundschaftsknüppeln und heftigen Umarmungen ihre Freundschaft. Ausgewählten Personen wird von den Staatsdienern auch Schmuck (Handschellen) geschenkt, einzelne Grüppchen aus Beschenkten und Miliz ziehen sich für intimere Momente in den Hauptsitz oder in größere Mannschaftswagen zurück. Im Prinzip also ein friedliches und herzliches Miteinander.
Leider geht ein Teil des Volkes selbst nach der Annahme ihrer Einladung davon aus, daß sich weitere Staatsdiener im Gebäude befinden. Sie erneuern und bekräftigen ihre Einladung durch weitere, zum Teil hochprozentig-brennende Frei-Haus-Cocktails und steigern sich in die gutgemeinte Verschönerung der Miliz-Fahrzeuge hinein. Da sich im Gebäude jedoch keine weiteren Milizen befinden, werden Milizen aus befreundeten Stadtteilen herangezogen, um das Volk dafür zu umarmen. Von der Presse wird dieses Schauspiel fälschlicherweise als Kampfhandlung gedeutet… wenn auch fairerweise nicht verschwiegen werden darf, daß das bunte Freundschaftstreiben mit erheblichem Sach- und Personenschaden verbunden ist. Die Nähe zum Krieg ist somit nicht von der Hand zu weisen.
Hat man sich dieses Schauspiel vorzugsweise vom ersten Stock des Schmidt aus angeschaut, kann man sich nun seine Meinung bilden; hat man es nicht rechtzeitig geschafft, sind drängendere Tagesordnungspunkte zu erledigen (Gesundung, Anwalt anrufen, Aussage überdenken, Diebstahlanzeige etc.).
Bevor ich den kleinen Streifzug enden lasse – denn alles Weitere ist eine Kombination des bisher Erlebten – möchte ich noch ein paar neuralgische Punkte anreißen:

Straßenkampfzone Ecke Hamburger Berg / Reeperbahn bis zum Tunneleingang: Der Hamburger Berg ist seit geraumer Zeit unter Kontrolle der ultrareligiösen Anhänger des Gottes „Koma“. Sie zelebrieren Ihre radikale Auslegung der heiligen Getränkekarte in oft tagelangen Trance-Gebetsfeiern, während derer sie einen transzendentalen Zustand der totalen Schmerzlosigkeit und Euphorie erreichen. Sie leben den Dschihad, die totale Vernichtung der Ungläubigen, weshalb zur Nachtzeit weder die fußläufige, noch die motorisierte Passage dieser Zone ohne Konvertierung zum „Koma“-Glauben möglich ist. Bei Tageslicht besteht keine Gefahr, der regelmäßige Besuch des Hauptgottes sorgt für umfassende Trance.
Direkt angrenzend, zwischen „Kentucky Fried Chicken“ und Penny auf der Reeperbahn kontrollieren ausgebrannte, ehemalige „Koma“-Elitekämpfer die Straße. Im Gegensatz zu ihren Ex-Kollegen vom Hamburger Berg haben sie die religiösen Machtstrukturen und Ziele aufgegeben und sich dem Fundamental-Betteln verschrieben. Dicht gesäte Posten fangen alle Transits ab und bemächtigen sich sämtlicher Güter.
Diese beiden Gruppen verfügen über das vernichtendste Konventionalwaffenarsenal im Territorium, Beziehungen in die höchsten Führungsebenen der Getränke-Weltkonzerne sichern ihnen über dunkle Kanäle unerschöpflichen Nachschub. Feindbeschuss erfolgt am Hamburger Berg meist mit halbleeren, unkontrolliert fliegenden 1,5L-Jack-Daniels-Alkobomben und uringefüllten Stahlbesatzstiefeln, beides ob der verheerenden Verletzungsbilanz gefürchtet. Den Schreckensgipfel markieren die Fundamentalisten-Posten vor dem Penny – nicht kooperierende (aber auch bereits ausgeraubte) Durchreisende werden hier teilweise mit der Dicken Bertha (einem mit Bierkisten befüllten Einkaufswagen) gezielt terminiert. Zahlreiche schwere Kollateralschäden an den umliegenden Bäumen, Gebäuden und vor allem Fahrzeugen zeugen von der Durchschlagskraft dieser Waffe.
Der Abgang in die Katakomben schließlich obliegt der Herrschaft einer privaten Armee der Kampfbomber-Piloten. Die Posten (Herkunft: zumeist Rumänien) bieten im Halbdunkel eintägige S-Bahn-Visa zum Kauf an, ein Ausschlagen des Angebotes wird als Kriegserklärung an das Kampfbomber-Geschwader gewertet und sollte bei regelmäßigem Besuch des Territoriums unterlassen werden. Ansonsten stellt es keine größere Gefahr dar, die Posten sind unbewaffnet, ihre Rechenleistung liegt weit unterhalb der unbemannter Drohnen.

Sperrareal Große Freiheit: Kampfbomber-Hoheitsgebiet, religiös geprägte Sektenstruktur mit militärischem Unterbau. Die sexuell-monetär orientierte Lebensweise weist auf den ersten Blick Züge einer offenen, friedlichen Demokratie auf – und Passanten, die dem zugrundeliegenden Glaubensbuch „1000 Löcher“ nicht offensichtlich feindlich gegenüberstehen, werden auch freundlich und zuvorkommend behandelt. Vorsicht ist trotzdem geboten, denn es herrscht strenge Trennung von Politik und Religion und die Führung verfolgt einzig totale Gewinnmaximierung. Zum Einsatz kommen subtile biologische Kampfstoffe, deren Wirkung man meist erst mehrere Stunden nach dem Verlassen des Areal bemerkt: rapider Kontoschwund, Geldbeutelverlust und temporäre Zeugungsunfähigkeit. Die Kampfbomber-Elite bezieht die Biostoffe aus riesigen osteuropäischen Zuchtfarmen, Sekundärschäden durch Kontakt sind also nicht ausgeschlossen. Am Ausgang, hinter dem Stromkasten Ecke Simon-von-Utrecht-Str. befindet sich ein Endlager für ausbrannte Biowaffen.

Des Weiteren benutzt das Areal der 1000 Löcher Passanten als menschliche Schutzschilde, indem sie vor dem Verlassen mit reichlich Munition bedacht werden – diese verfeuern sie im Rausch in den umliegenden Gebieten und destabilisieren so das feindliche Umfeld.

Beileibe nicht erschöpfend, haben wir nun einen groben Überblick über den Mikrokosmos St.Pauli, in dessen Orbit sich bis vor kurzem das Etablissement namens „Fliegende Bauten“ befand. Ich habe ihm zugegebenermaßen bis zur denkwürdigen Begegnung mit der Skyy-Vodka-Flasche keine Beachtung geschenkt – aber gerne dort geparkt, der günstigen Schadensbilanz wegen.
Doch dieses akkurat auf dem Fahrradweg aufgestellte Leergut hat mich an jenem Tag berührt. Nicht der billigste Fusel und nicht achtlos weggeworfen. Ein Indiz für intelligentes Leben. Mehr nicht. Jetzt weiß ich, wie sich Archäologen fühlen, wenn sie ein kaum als Werkzeug erkennbares Etwas ausgraben und frohlocken, daß es vor 1,2 Millionen Jahren vielleicht doch schon denkende Vorfahren gab.

Einer davon hat sich erfolgreich fortgepflanzt und uns den anonymen Skyy-Pazifisten geschenkt.

Zufall vielleicht, daß ich das zum 1. Mai schreibe. Es gibt Wichtigeres? Absolut. Den Ursprung hat es im Verhalten des Menschen. Friedlich-fröhlich ausgetrunkene und aufgestellte Vodka-Flasche oder in Gruppeneuphorie aggressiv heruntergespülte und in die Menge geworfene Bierflasche. Ob Zweiteres bei einer Demo für einen guten Zweck geschieht, ist nebensächlich. Probleme lassen sich nicht mit derselben Denkweise lösen, mit der sie entstanden sind.

…und draussen formieren sich wieder die Schwarzen Kapuzen, Pflastersteine und Bier im Gepäck, die Hubschrauber kreisen, Sirenen heulen, in der Ferne detoniert ein Sprengsatz. Nein, wir sind nicht im Gaza-Streifen.